Bei den Untersuchungen auf dem Areal des zukünftigen EDEKA-Marktes in Steinhorst machten die Mitglieder der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft Gifhorn eine bemerkenswerte Entdeckung: Kurz vor dem vorläufigen Abschluss der Grabungen kamen die Überreste einer mittelalterlichen Gerberei zum Vorschein. Die Archäologen haben einen rund 1,30 x 1,0 m großen Holzkasten gefunden, dessen Hölzer aufgrund feuchter Bedingungen weitgehend erhalten geblieben sind. In der Verfüllung lagen neben Keramikscherben, Holzstückchen und Eicheln auch Lederreste und Tierknochen. „Bei der Holzkonstruktion handelt es sich wahrscheinlich um einen Lohkasten“, verrät Kreis- und Stadtarchäologe Dr. Ingo Eichfeld. „Solche Kästen wurden benötigt, um die rohen Tierhäute in haltbares Leder umzuwandeln.“ Bei der im Mittelalter üblichen Loh- oder Rotgerberei wurden die Häute mit der sogenannten Gerberlohe in Wasser eingelegt. Als Gerbmittel verwendete man gemahlene Eichenrinden oder Eicheln. Im Lohkasten lag auch ein aus Wurzelholz gefertigter Schlägel, in dessen Durchbohrung noch der Rest eines abgebrochenen Griffs steckt. Eichfeld zufolge dürfte das Werkzeug zum Glätten des Leders genutzt worden sein.
Die Loh- oder Rotgerberei war ein Handwerkszweig, der in der Regel von Spezialisten ausgeübt wurde. „Die Gerberei war allerdings kein besonders angesehenes Gewerbe, da es erhebliche Geruchsbelästigungen mit sich brachte und zu einer extremen Gewässerverschmutzung führte. Außerdem konnte man sich schnell mit gefährlichen Krankheiten infizieren, zum Beispiel mit Milzbrand“, erklärt Heinz Gabriel, der ehrenamtliche Archäologe des Landkreises. Tatsächlich verströmen die geborgenen Funde auch heute noch einen unangenehmen Geruch. Nach mehreren Jahrhunderten im Boden sind die Krankheitserreger aber nicht mehr vorhanden.
Je nachdem, von welchem Tier die Haut stammte, dauerte die Gerbung bis zu 1,5 Jahre. In jedem Fall waren zur Durchführung der Lohgerberei große Wassermengen notwendig, da das Wasser zusammen mit der Lohe immer wieder ersetzt werden musste. Entsprechende Einrichtungen lagen daher wie in Steinhorst stets in Gewässernähe. Da die Häute einen mehrstufigen Gerbprozess durchlaufen mussten, rechnen die Archäologen mit dem Vorhandensein weiterer Befunde. „Verdächtig ist, dass wir in dem Lohkasten und in anderen Befunden immer wieder Schmiedeschlacken gefunden haben. Offenbar wurde hier also auch geschmiedet, so dass an dieser Stelle ein Handwerkerareal gelegen haben könnte“, vermutet Eichfeld.
Wie alt ist die Gerberwerkstatt nun genau? Für eine exakte zeitliche Einordnung wurden Holzproben zur Dendrodatierung an das Deutsche Archäologische Institut nach Berlin übersandt. „Die Untersuchung ergab, dass die Hölzer für den Lohkasten um 1170 geschlagen worden sind,“ freut sich Eichfeld. „Damit liegen wir sogar vor der urkundlichen Ersterwähnung von Steinhorst für das Jahr 1244.“ Doch ob vor oder nach 1244: Im Zuge der Bauarbeiten für den Supermarkt in Steinhorst sind noch weitere archäologische Überraschungen zu erwarten.